Zwischen Blau und Bergen

Fast schon exotisch: Radfahren zwischen Blau und Bergen auf der Kykladeninsel Naxos- (c) Lutz Bäucker

Dieses Blau ist nicht zu fassen: Türkis schimmert es an den milden Sandstränden im Westen. Weiß schäumend im Norden.  Und Royal am Himmel über Naxos. Dazu ein Licht, das es so in Deutschland nicht gibt. Es strahlt warm in die Herzen der Radler aus dem hohen Norden und berührt ihre Seelen. Auf der größten Insel der Kykladen wird Fahrradfahren zu einem Erlebnis jenseits von Akku-Stärken oder Pedalfrequenzen. Und es wird sogar fast ein bisschen exotisch: auf engen Straßen mit dicken Marmortransportern oder ungeduldigen Businesspiloten um den Platz zu streiten, ist nicht jedermanns Sache. Kein Wunder, dass unser 40-Radler-Peloton aus Bayern oft mit großen Augen empfangen wird. Während unserer achttägigen „Tour de Naxos“ sind wir gerade mal fünf(!) einheimischen Pedaleuren begegnet…

Überraschenderweise finden sich ein halbes Dutzend Fahrradverleiher auf der Insel und am Hafen steht sogar eine Ladestation für Pedelecs. Das Portfolio der Verleiher ist eher auf Spaß-Biker ausgerichtet, die mit kleinen, extrem schweren „Fatbikes“ mal schnell zu den vielen wunderschönen Sandstränden sausen möchten, Bergfreunde finden mit Glück auch das eine oder andere MTB mit Stromantrieb. Auf längeren Touren über die bergige Insel geht schon mal der Saft aus, die Streckenkalkulation ist schwierig-aufgrund der nicht immer transparenten Wattstundenangaben belassen wir es lieber bei Ausflügen unterhalb der 50-km-Grenze, sicher ist sicher. Und wenn der unterschiedliche Zustand der Räder mal eine Reparatur erzwingt, dann ist Geduld gefragt. Auf Naxos zu radeln erfordert also etwas Abenteuergeist und Zeit. Doch beides wird reich belohnt. 

Zum „Paradies“ am Strand
Etwa durch die Panoramafahrt entlang der Westküste, von den Graffiti-Ruinen auf den Felsen von Alykos weit im Süden bis hinauf zu den sanften Gestaden von Prokopios im äußersten Westen. Während wir in Alykos allein durch die geisterhaften Überreste eines geplanten Hotelbaus streifen und über die wandhohen Graffiti von Künstlern aus aller Welt staunen und rätseln, rauscht die Ägäis mit dem Wind um die Wette, Zikaden zirpen in der Mittagshitze, ein Milan kreist hoch über der Zedern-Macchia. Kleine Buchten verlocken zum Baden, auch in der Hochsaison ist hier wenig los. Auf der Küstenstraße knirscht der Flugsand unter unseren Fatbikes, wir sind froh über den eingebauten Rückenwind. Am Strand von Mikri Viglia steigen wir aus dem Sattel: hier bläst der Wind derart stark, daß sich zahlreiche Kite-Surfer in und über der Gischt wie Artisten produzieren können. Gemächlich rollen wir weiter, über Plaka und Maragas , immer am Meer, direkt hinter den kleinen Dünen. In Maragas wird Mittagspause gemacht, die „Taverna Paradiso“ ist seit 45 Jahren in Familienbesitz, ihre Tische stehen zum Teil unter zwei uralten knorrigen Tamarisken direkt am Strand, der Blick geht hinüber zur naheliegenden Nachbarinsel Paros. Griechenland wie aus dem Bilderbuch. Der Linienbus hält vor der Taverne, die mit ihren frisch gekochten Spezialitäten den ganzen Tag über Gäste anzieht. Dolmades, der mit wohlschmeckenden, lauwarmen Inselkartoffeln servierte Naxos-Salat, die Klassiker von der gefüllten Tomate bis zum gegrillten Tintenfisch, alles lecker. Auch beim Nachbarn „Manolis“ stehen die Tische gerade mal ein paar Meter weg von der Brandung: dort lässt es sich auch herrlich entspannt frühstücken. Und bei „Spiros“ am Strand von Prokopios wird flugs die ganze Familie aktiviert, um durstige und hungrige Radfahrer im Handumdrehen zu versorgen. Gastfreundschaft ist den Griechen nach wie vor sehr wichtig. 

Tempel und tote Riesen
Eher einsam ist es am Tempel der Demeter, der sagenhaften Göttin der Fruchtbarkeit und Landwirtschaft. Der Schwester des Zeus wurde einst in der Einöde südlich von Sangri gehuldigt, die Überreste des eindrucksvollen Tempels werden sehr ansprechend präsentiert, der Weg dorthin führt für Radler durch abgelegene Dörfer und über kurvige Sträßchen. Das gilt auch für unsere Tour hinauf in die Berge. Diese wachsen terrassenartig aus dem Inselinnern nach oben, dass der höchste Punkt genau 1001 Meter misst, ahnt man bei der Anfahrt nicht. Man spürt die Berge aber in den Beinen. Trotz Ebike muss man ordentlich in die Pedale treten. Ein Stopp beim darniederliegenden Marmorjüngling Kouros im herrlich grünen Tal von Flerio kommt da gerade richtig. Der über fünf Meter große Riese ruht unter schattigen Platanen und Feigen, wieder zirpen die Zikaden, irgendwo plätschert es, es duftet nach Orangen und Zitronen…Über Melanes strampelt und schnauft das Bayern-Peloton hinauf ins Dorf Chalki, längst zum beliebten Ausflugsziel geworden. Pittoreske Gassen, viele Blumen, urige Kafenions, die bekannte Kitro-Destillerie der Familie Vallindras – Chalkli hat einiges zu bieten. Der Kitro-Likör wird aus den Blättern des immergrünen dornigen Kitro-Baums hergestellt und in drei Farbvarianten verkauft, je nach Alkoholgehalt. Stilvoll genießen ihn die Insulaner im Kitron-Cafe am Hafen von Naxos, wo es bis weit nach Mitternacht selbst an herbstlichen Abenden rund geht.

Mit Stufe „Sport“ zur „Erleuchteten“
Wir gehen früher ins Bett, denn wir möchten noch die Nordküste erleben. Von der Chora, dem zitadellengekrönten Hauptort von Naxos, pedalieren wir windumtost auf kurviger Straße hoch über der brüllenden Brandung entlang. Ziegen und Schafe schauen verdutzt auf die buntgekleidete Menschenschlange, die sich schließlich auf Serpentinen hinab ins fruchtbare Tal von Engares stürzt.  Der Tacho zeigt über 60 Kmh an, das Adrenalin schießt ins Blut, die Menge jauchzt. Über staubige Feldwege und durch dichte Schilfwälder hoppeln wir zum Strand von Amitis. Die dortige „Tropical-Bar“ ist nur im Hochsommer geöffnet, jetzt pfeift der Wind über den Tresen, wütend verteidigt von einem riesigen schwarzen Hund. Gottseidank hält ihn eine Kette von weiteren Aktionen ab… So können wir von der Kapelle Agios Georgios auf einer Klippe hoch überm weiten Strand aus ganz entspannt die wilden Wellen beobachten. Auf dem Rückweg in die Chora klettern wir noch die engen Serpentinen hinauf zum Kloster Chrisostomos. Da schalten wir auf Stufe „Sport“ und lenken besonders vorsichtig. Doch die Mühe lohnt sich, das Panorama ist unbeschreiblich. Ohne Helm, mit bedeckten Schultern und Knieen betreten wir das Kloster, in dem nur noch eine Nonne die Stellung hält.“Fotini“ (dt. „Die Erleuchtete“) heißt die junge Frau, die uns die Geschichte dieser wie eine Festung an den Berg geklebten Kirchen-Burg erzählt. Ob sie denn auch mal Fahrrad fährt, will jemand von ihr wissen. Da lacht Fotini und schüttelt den Kopf: „Nein, auf Naxos radelt doch niemand. Beim Studium in Athen,ja, da nehme ich oft das Rad.“ 

Gut zu wissen
Anreise mit Fähre ab Hafen Piräus oder Rafinha (ca. 3,5 Std,) bei Flug bis Athen, bei Flug bis Mykonos( ab München 2,5 Std.) dann mit Fähre weiter (mit Schnellfähre ca. 1 Std.), Lohnenswerter Schiffsausflug zu den  Kleinen Kykladen Schinoussa und Koufonisi ( ca. 1,5 Std.ab Naxos). Beste Reisezeit: April bis Mitte Oktober (außer Juli/August: zu heiß und zuviel Touristen). Wir waren unterwegs mit einem Angebot von www.brreisen.de.

Über den Autor*Innen

Lutz Bäuker

Lutz Baeucker

Lutz Bäucker ist gern unterwegs. Am liebsten auf dem Fahrrad und zu Fuß. Wahrscheinlich ist sein Beruf schuld daran: fast 35 Jahre als rasender bzw. radelnder Reporter für den BR und den ARD-Hörfunk - das prägt. Lutz gehörte 1990 zu den "Gründungsvätern der kultigen "BR Radltour", noch heute ist er mit Hörern und Zuschauern der Anstalt auf BR-Rad-Reisen on tour. Da der Wahl-Münchner und Wahl-Allgäuer nach wie vor neugierig ist und sich auf alles Neue entlang seiner   Touren freut, bringt er fast immer schöne Geschichten für alle "Radlfreaks" mit.